Von Taxis, Rampen und Masken

17. September 2020Allgemein, Schulleben

Alltag eines Inklusionsschülers in Zeiten von Corona

Montag. Die erste „richtige“ Schulwoche nach einer langen Zeit des Homeschoolings und den Sommerferien beginnt. Vorfreude habe ich zuvor gespürt, aber auch eine gewisse Unsicherheit. Wie ist es um den Infektionsschutz bestellt? Wird man genug Rücksicht auf mich, den Risikopatienten, nehmen? Wie werden die Mitschüler auf mich reagieren? Fragen über Fragen. Teilweise habe ich diese schon mit meinem Klassenlehrer per Mail und an den ersten beiden Schultagen klären können. Im Klassenzimmer darf ich ganz hinten sitzen, um Abstand von meinen Mitschülern halten zu können. Auch die mittlerweile obligatorische Maske habe ich stets griffbereit. Alles andere lässt sich nach Bedarf regeln. Vorbereitung und Kommunikation mit den (sehr entgegenkommenden) Lehrkräften sind die für mich wichtigsten Voraussetzungen. Der Schulalltag kann also kommen.

Um 5:50 Uhr klingelt der Wecker. Schlaftrunken greife ich nach meinem Rollstuhl. Der ist für mich unverzichtbar, um meinen Alltag bewältigen zu können. Nach offiziellen Maßstäben gelte ich als schwerbehindert. Diese Behinderung erschwert mir das Stehen und Gehen massiv, Beinbewegungen sind für mich sehr anstrengend. Deshalb greife ich in meinem gesamten Alltag auf Hilfsmittel zurück, die mir helfen sollen, als ganz normaler Jugendlicher zu leben. Und zu einem normalen Leben gehört selbstverständlich auch der Besuch einer Schule. In meinem Fall heißt diese Schule Gymnasium Damme.

Dort gelte ich als sogenannter Inklusionsschüler. Inklusion bezeichnet das gemeinsame Lernen von behinderten und nicht behinderten Schülern. Das ist nicht immer einfach für alle Beteiligten. Der Schulalltag beschert beiden Seiten viele Herausforderungen. Jeder muss Rücksicht auf den anderen nehmen. Besonders in Zeiten von Corona.

Um 7:15 Uhr verlasse ich das Haus. Der Taxifahrer, ebenfalls maskiert, erwartet mich schon. Ein paar freundliche Worte zur Begrüßung, dann steige ich hinten ein. Obwohl es mir aufgrund der Enge etwas Mühe macht. Doch der Sicherheitsabstand muss auch hier eingehalten werden. Da ich als Risikopatient gelte, versucht mein Umfeld, mich bestmöglich vor einer Infektion zu schützen. Nachdem der Rollstuhl fachmännisch verstaut ist, geht es los.

In der ersten Doppelstunde habe ich Sportunterricht. Also lasse ich mich zur Sporthalle fahren. Dort werde ich schon von meiner Integrationshelferin erwartet. Sie gehört für mich zu den wichtigsten Standbeinen im Schulalltag. Wann immer Ausflüge, komplizierte Raumwechsel und andere Probleme im Schulalltag auftreten, steht sie mir zur Seite und unterstützt mich nach Kräften. Gemeinsam betreten wir die Sporthalle. Nachdem ich meine Kabine verlassen habe, drücke ich der Sportlehrerin eine Entschuldigung in die Hand. Ich bin von den meisten Aktivitäten befreit, um den Abstand einhalten zu können. Außerdem soll ich möglichst wenige Gegenstände, die von mehreren Leuten genutzt werden, anfassen. Dazu gehören auch Bälle und andere Sportutensilien. Eigentlich bin ich verpflichtet, so gut es geht im Sportunterricht mitzumachen. Schließlich muss auch ich dazu beitragen, gleichberechtigt mit meinen Mitschülern zu sein. Inklusion verlangt den Einsatz aller. Wir einigen uns also auf eine mündliche Ersatzleistung. Ich nutze die „freie“ Zeit in der Stunde, um mich mit zwei ebenfalls entschuldigten Mitschülern zu unterhalten. Sie beide nehmen aufgrund kleinerer Verletzungen nicht am Unterricht teil. Auf ihre Nachfrage erkläre ich ihnen, warum ich zur Risikogruppe gehöre. Beide hören interessiert zu. Auch Kommunikation ist ein wichtiges Standbein der Inklusion.

Durch diesen Zeitvertreib ist die Sportstunde schnell vorbei. Das Hauptgebäude des Gymnasiums lässt sich bequem über eine Rampe betreten. Die Pause verbringe ich in meinem Klassenraum, um große Schüleransammlungen zu meiden. Ich fühle mich abgeschottet, weiß aber, dass es der Gesundheit dient. Es folgt das Fach Politik. Ich freue mich. Anders als in Sport kann ich hier sehr gut mit der Gruppe mithalten. Ein Stück Normalität im momentan so besonderen Schulalltag. Dennoch halte ich auch hier akribisch Abstand, indem ich ganz hinten im Raum bleibe.

Chemieunterricht. Der letzte Punkt der Tagesordnung. Wir wechseln in die Fachräume des Hauptschulgebäudes. Mit dem Rollstuhl zwar aufwändig, aber dennoch nötig. Drinnen angekommen, verbringe ich den restlichen Schultag mit komplizierten Formeln und den zugehörigen Reaktionen. Mir brummt der Schädel, als die Schulglocke läutet. Endlich frei! Auf dem Heimweg denke ich über den soeben vergangenen Tag nach. Alles ist gut gelaufen. In diesen Momenten bin ich wirklich dankbar, dass ich das Gymnasium Damme besuchen darf. Inklusion ist zwar kein Selbstläufer, aber sie kann durch Engagement beider Seiten vorangetrieben werden. Deswegen bin ich den Menschen dankbar, die mir helfen.

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